Hein Daddel in memoriam
'Hein Daddel' in memoriam
An dieser Stelle möchte ich an ‚Hein Daddel' erinnern. Hein Daddel war an Bord der Ausdruck für den Durchschnittseemann, das Gegenstück zu ‚Otto Normalverbraucher' für den Durchschnittsbürger an Land. Immer wenn in der Mannschaftsmesse jemand etwas Allgemeines, Grundsätzliches feststellen wollte, sprach er von ‚Hein Daddel'
Auf den alten Frachtern wohnte Hein Daddel im Heck unter Deck über der Schiffsschraube, genannt ‚Hotel Schraube'. In dem darüber liegenden Deckshaus waren in der Regel die Messe und die Pantry untergebracht.
Auf der Transgermania, ex Welheim, gebaut bei Flender 1949 in Lübeck, lebte der Zimmermann im Deckshaus zwischen Luke 4 und 5. Das war bei Schlechtwetter ein zweifelhaftes Vergnügen. Etwas das ich bei keinem anderen Schiff gesehen habe. In den Deckshäusern zwischen den Luken ‚fuhr' man in der Regel Drähte, Tauwerk und andere Ausrüstung.
Hein Daddel hatte so einige Eigenheiten.
So war er in der Regel ledig, an Deck zu Hause, als Matrose oder Decksmann – allerdings gehörten Schmierer und Reiniger auch dazu, aber nicht so ganz...
Er legte sich gern mit dem Scheich (Bootsmann) oder dem Storekeeper in der Maschine an, trank auch mal einen über den Durst und ließ in Kanakeranien die Puppen tanzen.
Hein Daddel hatte einen Heidenrespekt vor dem Alten (Kapitän) auch bekannt als ‚Master next god'. Mancher hatte einige Strafanträge gesammelt, beantragt vom Kapitän beim Seemannsamt, für irgendwelche Untaten an Bord.
In der Regel fuhr er lange Zeit an Bord, ein Jahr galt als gute Fahrtzeit. 18 Monate waren keine Seltenheit. An Land hielt er es nie lange aus, meist drei Wochen über einer Kneipe auf dem Kiez, im Seemannsheim oder im Stammhotel waren in der Regel genug.
Hein Daddel war immer stolz auf den ältesten ‚Dampfern', bei der verrufensten Reederei gefahren zu haben. Bei der Annäherung an einen deutschen Hafen hatte er gern Schulden beim Funker, die beste Absicherung gegen einen ‚Sack' (Kündigung). Der Funker war für die Verwaltung zuständig, unter anderem zahlte er die Vorschüsse aus.
Zum Koch hatte Hein Daddel auch gern ein gutes Verhältnis, denn der hatte den Schlüssel zum Kühlraum – praktisch, wenn man sein Bier nicht warm trinken wollte.
Seine Schiffe holte sich Hein Daddel in der Regel bei ‚Max' auf dem Heuerstall - heute Hotel Hafen, oberhalb der U-Bahnstation ‚Landungsbrücken'. Mitunter machte er auch einen diskreten Besuch auf der ‚Tripperburg' neben dem Heuerstall.
Bei den großen Linienreedereien wie Hapag, genannt ‚Gottes eigene Reederei' oder Hamburg-Süd war er in der Regel nur auf den älteren Schiffen anzutreffen, denn die Seeleute, die etwas auf sich hielten, wollten immer die neuesten Schiffe fahren. Da war das Leben leichter, man hatte unter Umständen sogar eine Einzelkammer und Aircondition.
Da wurde ‚Style gefahren', das heißt, man hielt etwas auf Disziplin und es herrschte ein gewisser Dünkel gegenüber anderen Companies. Man war in der Regel stolz, nie bei einer anderen Reederei gefahren zu haben.
Über Egon Reith, einen Trampreeder (Orion-Reederei), war Hein Daddel natürlich begeistert, als er 1970 zu der Zeit, als der Container sich langsam durchsetzte, in einer Zeitung erklärte: „Was dem Seemann fehlt ist nicht eine bessere Kammer und eine höhere Heuer, nein, was dem deutschen Seemann fehlt, ist Disziplin...."
Das war was für Hein Daddel. Die Töne waren ihm vertraut – und dann noch vom Chef einer der verrufensten Tramp-Reedereien, - ahh die hatten immer die interessantesten Tripps und die ältesten ‚Gurken' (Schiffe).
Vertrieben hat ihn der Container und der technische Fortschritt. Mit dem Wegfall des Ladegeschirrs und der konventionellen Ladung, der Verminderung der Besatzungsstärke und last but not least, der Abschaffung des Matrosen und sein Ersatz durch den Schiffsmechaniker, war ihm seine vertraute Welt abhanden gekommen.
Wo steckt er heute? Wo ist er abgeblieben? Ganz sicher hat er, wenn er noch lebt, eine Rente, war vielleicht noch einige Jahre im Hafen beschäftigt. So mancher sitzt heute knatterig und einsam im Seemannsheim oder in irgendeinem Altenheim und jubelt den Mitbewohnern Stories unter, von damals auf den schönen, alten Frachtern mit den tollen Tripps, verrückten Gangs und tyrannischen Kaptänen.
Aktualisiert ( Dienstag, den 28. September 2010 um 12:50 Uhr )